Trotzdem!
Marienkäfer queren Fensterbänke,
Magnolienblüten platzen auf,
Kinder greifen in Schokoladeteig,
Erwachsene trinken Kaffee.
Katzen putzen ihr Fell.
Normalität ist leise,
stolpert nicht,
ist da und beruhigt.
Eine träumt vom Meer,
einer tanzt beim Zähneputzen,
viele klatschen aus den Fenstern.
Zeitungspapier raschelt wie immer,
Katzen jagen Vögeln nach.
Normalität ist selbstsicher,
kennt keine Eile
und atmet ruhig.
Vögel jagen Katzen nach,
Marienkäfer trinken Kaffee,
Erwachsene queren Fensterbänke
Kinder sitzen in Bäumen
Die Normalität lächelt
und steckt den Kopf in den Schokoladeteig.
Christina Repolust, 19. März 2020
Kind, manchmal habe ich Angst!
Großeltern und Enkelkinder haben einander viel zu erzählen
Meine Großmutter kam 1898 in Schlesien zur Welt: Sie war 60, als ich geboren wurde und sie wurde der wichtigste Mensch meiner Kindheit. „Mach die Oma nicht traurig, frag sie nie nach dem Krieg!“ So lautete die Ermahnung meiner Eltern. Eine sinnlose Ermahnung, denn Oma erzählte mir immer wieder von ihrem Mann, der im Krieg gefallen war und ihrem Sohn Fritz, der „als vermisst gemeldet“ galt. Sie hoffte bis zu ihrem Tod, Fritz würde vom Roten Kreuz gefunden werden. Panzer machten Oma Angst, ich hasste sie stellvertretend für sie und übergab mich bei jedem Besuch am 26. Oktober in der Kaserne in Lienz. Vielleicht lag es an der Gulaschsuppe, vielleicht aber daran, dass Panzer und Gefahr für Oma für mich zusammengehörten. Als am 26. April 1986 der Reaktor-Unfall von Tschernobyl bekannt wurde, lebte Oma noch und sie tröstete mich am Telefon: „Lass doch die Kinder raus spielen. Wird nicht so schlimm sein!“
Trotzdem oder schöner gesagt: dessen ungeachtet
Wo wären wir heute alle, könnten wir mit diesem starken Wort nichts anfangen?
Ein Wort, das zwischen Wörtern, Wortgruppen und Sätzen eine Beziehung kennzeichnet, nennt man Konjunktion oder wer es gern einfacher hat: Bindewort. Das kann auch ein widerständiges Wort sein, also ein Wort, das Widerstand ausdrückt: Trotzdem lese ich. Trotzdem gehe ich. Trotzdem bin ich wie ich bin. Meine Generation las sich durch eine beliebte Buchserie „Der Trotzkopf“ und reifte dabei mit größeren Brüchen und Sprüngen hin zu Marlen Haushofer, Brigitte Schwaiger oder Elfriede Jelinek. Manche begannen sofort mit diesen großen Autorinnen der österreichischen Literatur, Ilse Aichinger will ich hier nicht vergessen. Trotzphasen hießen die Jahre, in denen ich nicht das machte, was meine Umgebung von mir wollte. Alte und junge Menschen trotzen Gefahren, Versuchungen und Verführungen, sie trotzen auch Autoritäten. Wo wären wir alle heute ohne diese Phasen, Tage und Jahre des Trotzes? Ich will hier raus, trotzdem bleibe ich daheim. Das ist die Höchstform des Trotzes: Sich selbst zu trotzen, den inneren Versuchungen zu widerstehen.
Wann gehen die wieder?
Tür auf! Tür zu! Und weg sind sie! Kater Mio räkelt sich und miaut: „Die gehen heute endlich raus! Die Wohnung gehört wieder mir! Jetzt kann ich in Ruhe schlafen! Alles begann an einem Montag. Da blieben Papa Matthias, die 5-jährige Carla und der 8-jährige Moritz einfach daheim. Mama ging als einzige arbeiten. Kindergarten und Schulen sind zu, Papas Firma macht Home-Office und Mama Nina sitzt wie immer an ihrer Supermarktkassa. Es gab einen Lernplan für Moritz, fünf neue Puzzle für die Kleine und Riesenmengen an Kaffee für Papa. Ich bin stolz auf meine Familie.
Ihr denkt an mich, wenn ich sterbe
Ehrliche Worte von Frau Gerti:
Als Oma starb, waren wir bei ihr. Beide Opas sind ohne ihre Lieben gestorben. Der eine starb in einer Kohlengrube in Schlesien, der andere wurde im Krieg erschossen. „Er blieb in der Grube, er blieb am Feld“, so hieß das in der Familiensprache. Ich denke, sie starben einsam. Die Bilder, die wir vom Sterben haben – und da blenden wir alle Flugzeugabstürze und sonstigen Unfälle beherzt schon einmal aus – zeigen uns zumeist im Kreise von unseren Liebsten. Können auch nur zwei sein. Aber jemand ist da, dann lassen wir los. So habe ich mir das gedacht, bei jeder Mammografie und bei jedem Hautscreening: Das sind meine jährlichen Vorsorgeuntersuchungen und davor habe ich auch immer Angst. Dass ich krank sein und dann auch sterben könnte. Nun weiß ich, dass in Italien Menschen in der Notambulanz sterben, mit einem Helfer, einer Helferin dabei. Vielleicht noch einen letzten Gruß an die Lieben. Da ist verdammt viel Liebe dabei, bei den Helfenden, die da sind.
Ich habe mein ganzes Leben lang Zeit, über mein Sterben nachzudenken.
Und damit beginne ich jetzt.
Sture, alte Leute!
Eigentlich wollte ich eine sture, alte Greisin werden. Ich wollte wie Astrid Lindgren noch auf Bäume klettern, laut singen und ausgelassen tanzen. Was mir die Jungen sagen würden, darauf würde ich pfeifen. Das Pfeifen müsste ich noch lernen und ich würde mir auch kleine Bäume aussuchen, um raufzuklettern. So habe ich mir das vorgestellt. Jetzt ist es aber Zeit, umzudenken. Fix noch einmal! Ich lerne gerade, um Hilfe zu bitten: Der Sohn kauft ein und stellt einmal in der Woche eine Tasche mit frischem Obst und Gemüse vor die Tür, auch mit frischem Brot. „Was Süßes willst du nicht?“ Der kennt mich gut und eigentlich müsst er die Antwort: „Das ist jetzt keine Zeit für Unnötiges. Kauf nur das Nötigste und schau auf dich!“, ja schon kennen. Daheimbleiben und auf mich zu schauen, das werde ich in der kommenden Zeit üben. Daneben übe ich das Pfeifen und turne ein wenig, das Ergometer muss sich noch von seinem Schreck erholen, dass ich es seit gestern benutze. Ja, andere Zeiten, andere Bäume und eine andere Sturheit. Fix noch einmal!
So viele Überstunden? Und ich bin in der Gewerkschaft
Arbeitsfreude, Mehrstunden und Zeitausgleich
Ich bin im Arbeitsfluss, dort ein Außendienst, hier ein Projekt - meine Mehrstunden, ich sammle sie wie früher die Osterhasen. Die habe ich nie aufgegessen und dann warf meine Mutter sie weg, weil die Schokolade grau geworden war. Nein, meine Mehrstunden werden nicht grau, ich "baue sie ab". Das muss ich wohl können, denn Großvater 1 war Grubenarbeiter, der hat auch in Schlesien etwas abgebaut. Wohl keine Mehrstunden, außerdem ist er "in der Grube geblieben", wie seine Witwe, meine Oma, mir immer erzählt hat.
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Ein Teller Suppe von Oma
Das rechte Maß zwischen Verschwendung und Geiz finden
Als ich sieben Jahre alt war, kam ein Fernsehapparat ins Haus. Genau genommen wurde er geliefert und genau genommen hatten wir auch Haus, sondern eine Wohnung und genau genommen kam das Gerät in die Wohnung meiner Oma: Zimmer, Küche, Kabinett und eine zufrieden Frau, die sich über das Gerät freute. Mittwoch, 15 Uhr, war Kasperl-Zeit, alle Kinder im Klausnerweg 3 und 1 durften kommen. Oma schenkte zum Fernsehvergnügen Himbeersaft aus, den verdünnte sie, je mehr Kinder anläuteten: „Frau Martin, dürfen wir ein bisschen Kasperl schauen!“
Was verdammt, ist seichte Literatur für gelangweilte Hausfrauen
Als ich als Bibliothekarin zu arbeiten begann, hießen die Bücher, die viele gern lesen, manche gern lesen und es nie zugeben und die andere wiederum nie lesen würden: Schema-Literatur. Da kannte man also einmal ein Schema, ja, auch der Tom-Turbo-Brezina hatte viele Schemata in die Kinderzimmer gerollt, und folgte diesem dann tiefenentspannt. Man konnte sich zurücklehnen, denn die Schmutz- und Schund-Literatur-Fehde war endgültig vorüber und dann hieß das, was man so gerne liest, eben Schema-Literatur.
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