Lernen ist Arbeit
In den vergangenen Wochen habe ich viele Kurse gehalten: einen für BibliothekarInnen und einen für Frauen, die Deutsch lernen wollen. Beiden Kursen gemeinsam war der ungebrochene Wille der LernerInnen: Einmal ging es um die Jahresmeldung Öffentlicher Bibliotheken, beim anderen Male darum, mit Schwungübungen ins Schreiben zu kommen. Eine Teilnehmerin nannte mir ihre Lieblings-TV-Serie "Grace Anotomy", da konnte ich mitreden, ich liebe nämlich den weiblichen Chief, die unerschütterliche Bailey .
Die Teilnehmerin grinste, ja, der Mc Dreamy, schon, der sei hübsch, aber stärker und interessanter seien doch die Frauen. Die neue Teilnehmerin, die außer "ich heiße X. und komme aus dem Kosovo, meine Muttersprache ist Albanisch!" Da staunten die anderen Frauen, das Land und die Sprache haben unterschiedliche Namen. Lernen ist immer Arbeit und daher eine ernste Angelegenheit, die durchaus Freude macht. Lernen muss nicht immer Spaß sein, ich hätte Angst vor Menschen, die lachen, wenn sie die Umsatzzahl ihrer Bibliothek errechnen; auch Menschen, die sich beim Bilden von Perfektsätzen vor Vergnügen auf die Schenkel klopfen, kämen mir speziell vor. Daher: Ich unterrichte weiter, mit Begeisterung und Ernst und freue mich über meine Teilnehmerinnen, die ernsthaft Schwungübungen machen, das M schreiben und in Texten wiedererkennen.
Denkstoff
Da gibt es ja eine Regel!
Die Teilnehmerin freut sich auf den Kurs: „Immer habe gearbeitet, meine Tochter jetzt studiert sie Architektur in Wien. Korrigiert mich, aber nicht immer.“ Die Kinder sollen es nämlich immer besser haben, sagen die TeilnehmerInnen 40+ in jenen Kursen, die sie auf AMS-Schulungsmaßnahmen vorbereiten, speziell hier in Bezug auf ihre Deutschkenntnisse. Die reichen immer zum „Durchkommen“, „Sich-Durch-Kämpfen“, dafür aus, die Kinder auch alleine mit Schichtarbeit großzuziehen.
Lesezeichen
Eigentlich ist es der Busfahrschein. Eigentlich war es eine Eintrittskarte, es war auch eine Rechnung aus einem Cafe, nie eine Eselsohr.
Dann kamen bestickte Exemplare, geschenkt von einem besonderen Menschen, die mag ich sehr. Dann wieder eine Quittung, dann auch noch ein schlichtes Band.
Ich merke, dass ich heute viel seltener als früher "außer Haus", also im Bus, auf einer Wiese etc. lese, denn ich lese zu Hause dann, wann ich Ruhe habe und die habe ich doch meistens. Dann lese ich in einem den Text durch, Stunden dürfen vergehen und ich sehne mich nach Unterbrechungen. Es sind ja die Unterbrechungen, die den Text noch reizvoller machen: Man muss schnell ins Büro, dann kann man weiterlesen. Nur die letzten drei Seiten, die kommenden fünf Kapitel noch. Atemlosigkeit gehört auch ein bisschen zum Lesen, finde ich.
Also werde ich jetzt ein Buch bewusst so zu lesen beginnen, dass ich Pausen einplane und nach einem passenden Lesezeichen suchen muss. Ich bin schon neugierig, was ich finde, was ich nehme und ob ich es schaffe, Pause zu machen.
Handsemmeln kann ich auch schon
S. habe ich in einem Kurs kennen gelernt, damals suchte sie eine Lehrstelle. Gern in der Nähe ihres Wohnortes, gern in einer Bäckerei, aber auch sonst war S. offen für Angebote. „Hurra, ich habe die Lehrstelle als Bäckerin und das daheim bei mir in XX!“ Diesen Aufruf hörte ich, als der Rest der Welt über die Zentralmatura jammerte, alle 18-Jährigen als Maturanten sah und dabei völlig vergaß, wie viele jungen Menschen sich über eine Lehrstelle freuen. Freuen würden. Ja, ja, los geht die Jammerei, dass die schlecht in Deutsch und noch schlechter in Rechnen seien: Schluss damit. S. steht seit acht Wochen täglich um 4.00 auf und beginnt dann – manchmal noch sehr verschlafen, es werde aber immer besser – in der Bäckerei.
Gestern hat sie mich besucht und mir Handsemmeln mitgebracht: „Die habe ich selber gemacht. Und das ist echt schwierig. Aber mit jedem Tag kann ich es besser.“ Wie S. ihre Lehrstelle fand: Durch die Unterstützung von Menschen, die an die 16-Jährige glaubten, die ihr zutrauten, durchzuhalten, es gut machen zu wollen. Eine junge Frau, die bei mir Märchen schrieb, im Dialekt und manche auch von hinten erzählen musste, die ihre Grammatik verbesserte und Poetry-slams interessant fand, hat die Semmeln gemacht, die ich jetzt gleich esse, eine davon, die andere kriegt mein Mann. „Danke, das weiß ich zu schätzen!“ So solls sein, am Frühstückstisch und im echten Leben mit jungen Menschen.
Wie ich eine Stadt lieben lernte – Teil 1
Wer aus Lienz kommt, muss nicht Schi fahren können
Von Lienz aus bin ich immer mit dem Zug nach Innsbruck gefahren, viele Kurven habe ich ausgehalten, mir war bei der Ankunft immer schlecht. Später dann fuhr ich von Salzburg aus – also weniger kurvenreich und auch ohne Übelkeit – nach Innsbruck zu Sitzungen. Da habe ich mir zum ersten Male die Einwohner der Tiroler Landeshauptstadt angeschaut und mich gleich zu fürchten begonnen. Alle, wirklich alle, hatten Sportjacken, -hosen und -schuhe an, manche trugen Helme. Alle fuhren Rad, hatten dabei Schi am Gepacksträger oder auch Steigeisen. Daraus lernte ich, dass die Innsbrucker immer mindestens zwei Sportgeräte bei sich tragen und häufig in Gruppen auftreten. Sie warten stets auf Busse – bis auf die mit den Rädern! –, die sie vermutlich auf Sprungschanzen, auf Gipfel oder sonst wohin, wo ich es gefährlich finde, bringen. Stell dir vor, du gehst mit deiner Büchertasche durch die Straße und landest dann in so einem Bus, schnell hängst du irgendwo am Seil, stehst auf der Berg-Isel-Schanze und nur der Tod ist dir dann sicher. Über 30 Jahre bin ich ängstlich durch die an sich ja nicht unsympathische Stadt gerannt, immer auf der Flucht vor der sportlichen Masse. Im März 2012 habe ich ein Cafehaus entdeckt. Darin saßen Menschen. Ganz normal bekleidete, Kaffee trinkende Leute. Keiner hatte ein Sportgerät dabei. Ich habe Hoffnung.
Ob das Lesen wirklich beim Leben hilft?
Bibliotherapie, kennen Sie das? Nun, das machen auch so richtige Psychologen und -lytiker, und die noch mit Existenz vorn dran, die machen das ganz sicher ganz perfekt. Aber ist es nicht auch eine Form von Bibliotherapie, einem lieben Menschen ein für ihn möglicherweise bedeutsam werdendes Buch zu empfehlen, oder einen Text, es muss ja nicht immer eine Geschichte sein. Auch ein Sachbuch unterstützt einen manchmal, wenn man verunsichert durch sein eigenes kleines Leben trippelt.
Mich haben stets Biografien belebt und der Roman "Schöne Tage" von Franz Innerhofer hat viel in meiner Sicht auf die Welt verändert. Auch "Momo" von Michael Ende hat mich nachdenklich gemacht, ich war einer Freundin dankbar, die sich nicht davon abbringen ließ, mir ein Kinderbuch zu schenken. Ach, diese Einteilungen, Erwachsenenbuch hier und Kinderbuch dort: Wir älteren Menschen lernen doch so viel von den Geschichten für Kinder. Wir lachen uns durch die Pappbilderbücher, wir leiden mit den Heldinnen und Helden und wollen uns doch auch die Welt genau so lesen, wie sie uns gefällt. Bibliotherapie: Vom "Kleinen Ich bin Ich" von Mira Lobe bis zu Arno Geigers "Der alte König in seinem Exil", mit Wolfsgruber, Innerhofer und Mitgutsch dazwischen. Ein Versuch.
Auch irgendwie daheim
Nicht überall ist Heimat, manchmal gibt es eine kleine Heimat, das leise Daheim
Wenn ich von Lienz Richtung Felbertauern fahre, könnte ich bei Huben links abbiegen. Dann bekäme ich in etwa fünfundvierzig Minuten auf einem Bergbauernhof in Hopfgarten einen Kaffee, ein Stück Kuchen oder wenn ich möchte, auch ein Bier. Als ich zum ersten Mal dort war, war ich gerade 23 Jahre alt, hatte rote Haare und trug mit Leidenschaft unförmige Jeans. Trotzdem waren die Leute auf dem Hof freundlich zu mir, luden mich zum Mitessen ein und meinten, ich könne sie duzen. Sie sind meine Schwiegereltern geworden, am Anfang war ich wohl so etwas wie ein optischer Schock für sie. Doch wir fanden zueinander, jetzt sind sie schon lange tot. Die junge Familie dort oben am Hof ist auch schon in die Jahre gekommen, ich könnte mit ihnen die Kindheit meiner Kinder und die der ihren teilen. Erinnerungen sind das Bindeglied zu den Menschen, wir teilen sie, egal wie alt wir werden. Ich kenne auch Menschen, mit denen ich zwar Zeit verbrachte, aber keine Erinnerungen teile, wo ein Ort nie zu einem Daheim wurde. „Du bist immer willkommen hier bei uns.“ Das sagten mir damals nach der Scheidung die Leute vom Hof und das gilt für mich und meine Kinder bis heute. So leicht kann es sein, mit einer Trennung nicht alles zu verlieren. Und jetzt werde ich einfach links abbiegen.
Sie schon wieder?
Wenn ich im Stau stehe, im Auto sitzend also mehr im Stau sitze als stehe, frage ich mich, warum alle anderen auch immer da sind. Die könnten bei dem schönen Wetter heute, Freitag, 22. August, doch daheim am Balkon chillen oder auch arbeiten oder in einer Bibliothek gerade Medien entlehnen. Nein, die müssen auch in ihren blöden Autos sitzen und von Freilassing in Richtung Salzburg fahren. Gut, auf der Gegenfahrbahn, da waren schon auch ein paar Leute, die sind vielleicht gerade heim in ihre Gärten gefahren. Aber ich rede jetzt von denen vor und hinter mir!
Aus Frust über die Schlange, die Warteschlange, bin ich zu IKEA gefahren, auf einen Kaffee. Da waren sie schon wieder. Die Schlangen-Leute, die, die nie dort sind, wo sie nicht stören, sondern immer genau vor mir in der Schlange. Wer bitte braucht heute etwas anderes als Kaffee? Wer muss Bosna - ja, gibts bei IKEA - und sonstiges zu sich nehmen, wenn es doch Kaffee gibt. Ja, daheim. Nur ich will heute freie Fahrt und einen Angestellten vorfinden, der sich um meinen Kaffeebecher kümmert.
Warum ich das schreibe? Weil ich jetzt fünf Tage bereits völlig tolerant überall in Warteschlangen stand. Weil ich dabei noch freundlich gelächelt habe. Weil ich das so gar nicht mag, das Warten. Und weil es für heute reicht. Ich setz mich jetzt in den Garten, ich geh nicht mehr vor die Tür und schalte meine Kaffeemaschine ein. An mir kann es also ab jetzt, Freitag, 22. August 2014, 14.30 Uhr nicht mehr liegen, dass es in Salzburg Staus gibt.
Ein Hai, ein Traum und ganz viel Fieber
Verhaltensänderungen wollen gelernt und ausgehalten werden
Es ist einfach passiert. Ich bekam Fieber. Das war übrigens kein tolles Erlebnis, ein wenig fremd, wie abheben und dann fliegen. Eine der letzten Zeilen, die ich vor dem Einschlafen las war eine Titelzeile: Mühlviertler von Hai getötet. Davon habe ich dann geträumt, vom Hai meine ich. Ich kenne keinen Hai persönlich, über Hunde kann ich schon etwas sagen und über Katzen sowieso, aber Haie sind mir fremde Tiere und das sollen sie auch bleiben: Daher habe ich nie „Der weiße Hai“ gesehen, den Film finde ich einfach gruselig und Leute mit zu vielen Zähnen im Gesicht erinnern mich immer an diesen Film, den ich nie gesehen habe. Als ich aus meinem Hai-Kampf-Traum erwachte, suchte ich erneut die Schlagzeile unter meinem Bett: Der Mühlviertler war in Südafrika getötet worden, nicht im Mühlviertel. Dort gibt es nämlich keine Haie! Warum hieß die Zeile dann aber nicht: Österreicher von Hai getötet? Oder gar Europäer? Viele Menschen sprechen völlig undifferenziert von „Afrika“, ganz so als wäre Afrika ein Land, ganz ohne Einzelstaaten. Na ja, ich nehme mir Zeit, um über Heimat nachzudenken. Übrigens: Ich bin und bleibe in mir drinnen Osttirolerin und das ist kein Mix aus Kärntnerin und Tirolerin.
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