Rascheln und Klapperln
Rascheln ist das Klapperln für Fortgeschrittene
Der Zug fährt los, der Waggon ist spärlich besetzt, ich hole meinen Krimi aus der Tasche. Ruhe, Landschaft, Lesefreude, Vorfreude auf drei Tage in Wien, dort leben zwei Millionen Menschen, das pure Leben! Die Dame, die mir schräg gegenüber sitzt, beginnt, die vier Papiersäckchen in ihrem Rucksack zu ordnen: Raschel, raschel, raschel! Da kommt das Papiersackerl mit dem Kipferl raus, dann wieder rein; dann kommen zwei weitere Sackerl mit je einem Käse- und einem Schinkenweckerl raus, wieder rein. Raschel, raschel. Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, in denen man das Sommer-Schuhwerk für jüngere Menschen und Kinder „Klapperl“ nannte? Welche schöne Erinnerungen tauchen auf, sobald man über Geräusche nachdenkt. Dieses Klappern klang nach Sommer, Ferien und Freiheit: Manchmal wäre es möglich gewesen, leiser zu gehen, aber dafür zog man die „Klapperln“ ja nicht an. Die Raschlerin war vielleicht vor vierzig Jahren ein Mädchen, das sich munter durch den Sommer klapperlte, jetzt raschelt sie sich durch den Tag. Ich beschließe, hobbymäßige Geräusche-Sammlerin zu werden und die Geräusche, die man erzeugt, wenn man Buchseiten umblättert, genau zu analysieren.
Verhaltensänderung, jetzt gleich!
Gute Gewohnheiten im Alltag zu verankern, braucht Zeit
Montag ist der beste Tag für Veränderungen. Gleich nach dem Sonntag ist er da, unverbraucht, frisch und sauber: Genau mein Tag, um ein gesünderes Leben zu beginnen. Zuerst kam das Ölziehen: Na ja! Dass mir der Kaffee hernach nicht schmeckte, versteht sich von selbst und dass ich mich beim Verzehr der so gepriesenen Paranüsse verschluckte, beflügelte mich auch nicht wesentlich. Es war Montag, 8.00 Uhr und ich war bereits zweimal lustvoll gescheitert, also konnte es nur besser werden. Doch niemand, der von der Freude des Radfahrens schreibt, ist je von Pseudosportlern in Funktionskleidung den Almkanal entlang gejagt worden: Da rauschen die breiten Reifen, da knacken die Gangschaltungen und da flitzen die Funktionsgewandeten nur so dahin. Dabei heißt es doch immer, dass Radeln beruhigt. Als ich jedoch bei der Bäckerei im Nonntal vorbeiradelte, im dritten Gang – ich hab’s ja auch drauf! - war er der da, der Lohn des Sich-Veränderns: So muss es im Schlaraffenland riechen, süß und wohlig und friedlich. Eine köstliche Topfengolatsche später wusste ich: Montage sind auch deswegen ideal, sein Verhalten zu ändern, denn dann hat man auch noch Dienstag, um es aufs Neue zu versuchen.
Früher war mehr Lametta
Loriot hat es immer schon gewusst, ich wusste es von ihm: Es gab dieses Früher, das kann man immer, wenn man im Jetzt ein wenig verzweifelt, beschwören, anrufen, bejubeln. Ich habe bereits als Kind das Lametta, das damals von den Ästen des Christbaumes hing, gehasst. Es verursachte bei mir Zahnschmerzen, ich hatte damals schlechte Plomben, die der Gesundheit nicht zuträglich waren, besonders eben zu Weihnachten. Weil da noch mehr Lametta war. Dann wurde ich groß und kaufte den ersten Christbaum, ich fand das aufregend und handelte den Preis um 20 Schilling runter. Lametta kam mir nicht auf die Äste, dafür wunderbar duftende Kerzen aus Bienenwachs, die triggerten auch keine Schwachstelle meines Körpers.
Und heute ist 2020, der Christbaum steht im Wohnzimmer, kein Lametta, keine Kerzen, zwei sehr dezente Lichterketten, ach, Herr Loriot! Es ist ein guter Baum, völlig unkompliziert erworben, diesmal ohne das von mir so geliebte Feilschen. Es ist alles da, es ist mehr als genug vorhanden, da darf das Bäumchen ruhig ein wenig reduzierter sein. Ich bin gesund, meine Lieben sind gesund, wir machen also weiter, im Homeoffice, mit FFP2-Masken, manche von uns müssen raus, um die mach ich mir meine Sorgen. Aber wenn ich in der Glockengasse vier Frauen unterrichte - Unterricht mit maskierter Lehrerin/mir und maskierten Teilnehmerinnen/vier tolle Frauen - , ist das ein großes Stück meiner Normalität: Nein, ich teile hier keinen Bildschirm, ich schreibe schwungvoll auf die Flipchart-Blätter und eine Breakout-Session geht sich in diesen 60 Minuten nicht aus. Dativ oder doch besser Akkusativ? Oder wie war das gleich mit den beiden Fällen? Ach so, die sind schon wichtig und die Regeln, ja, langsam verstehen wir sie.
Das Lametta hängt über dem Ast/Zweig. Ich hänge das Lametta über den Zweig. Ich hasse das Lametta. Ich verzichte auf das Lametta. Ich kaufe nie Lametta. Tschuldigung: Was ist Lametta?
Herr Loriot! Herr Loriot! Beschreiben Sie bitte kurz und prägnant "Lametta".
Nicht immer gleich „Nein“ sagen
Warum Unterrichtende doch immer weiterlernen sollen
„Können wir Kahoot spielen?“, fragt X. im Kurs. Die Frage richtet er an mich, die sich gerade abmüht, die Daten des Ersten und Zweiten Weltkrieges den jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aufzubereiten. „Wir spielen hier gar nicht!“, so lautet meine vorschnelle Antwort, die eigentlich das Ergebnis eines Reflexes ist. Unterricht und Spielen, noch dazu etwas, das ich nicht einmal akustisch verstanden habe, verlangt doch eine klare Entscheidung: Nein! Höflich machen die Jugendlichen dann aber alle Quizfragen zu den beiden Weltkriegen mit mir durch und bin richtig stolz, dass ich so „fortschrittlich“ unterrichte. Doch am nächsten Tag erfahre ich in der Klasse, was genau „kahoot“ ist und entschuldige mich: Er ist ein sinnvolles Lehr- und Lerntool, es macht wirklich Freude, wenn alle per Handy ihre Antworten geben. Jetzt übe ich „kahoot“ und klicke mich durch zahlreiche Videos: Leseverstehen zu fördern, Querverweise von Geschichte zu Literatur, Musik und Architektur zu finden, ist die eine Seite, Plattformen wie „kahoot“ eine sehr gute andere Seite. Also habe ich hautnah zu spüren bekommen, was man mit „lebensbegleitendem Lernen“ meint: nicht stehen bleiben, nicht vorschnell Vorschläge ablehnen, sich ins digitale Lernen einarbeiten. Das geht nämlich in jedem Alter, ich brauche halt ein wenig länger!
Ich war bei der Bank, sagte der Mann mit der Maske
Veränderte Zeiten, veränderte Handlungen, vertraute Gespräche
Da stand er, rote Jacke, rote Brille und die Maske über Mund und Nase. Es war beinahe Mitternacht, ein Hund bellte, sonst war es sehr still in der Gasse. „Ich war bei der Bank!“, hörte sie ihn sagen, ihr Blick blieb an der prall gefüllten Stofftasche hängen. Ja, so beginnen Krimis. So beginnt eine Szene, in der mein Mann mir erzählt, wie irritiert er war, als er mit Maske über Nase und Mund in die Bank ging. Er tätigte dort Überweisungen. Seit wir uns kennen und das ist wirklich lange, haben wir noch nie darüber gesprochen, wer von uns wann und mit welchem Ziel bei der Bank war. Ich nutze das digitale Bankservice, er geht zur Bank, so war es. Ich erzählte meinerseits, wie unangenehm der Einkauf im Bio-Markt war, alles bio-bio-bio und dann kennen dort zwei besonders Eifrige den kleinen Elefanten noch nicht, der doch zwischen mir und ihnen stehen sollte. Wenn man das Tierchen denn stehen ließe, ja, gut, stellen Sie sich, liebe Bobo-Bio-Einkäufer auch ein kleines Kalb oder eine Gemse vor oder eine Yoga-Trainerin „im herabschauenden Hund“ – nichts gegen Yoga-Trainerinnen! - : „Aber halten Sie bitte Abstand!“ Wir haben einander momentan viel zu erzählen, der Mann mit der Maske und ich.
Zimmer
Die Lehrer lehrern im Lehrerzimmer
Die Konferenzen konferenzen im Konferenzzimmer
Menschen kochen im Kochzimmer!
Stopp: Nein, das Kochzimmer heißt Küche
Vorschlag: Bratzimmer, Backzimmer, Dörrzimmer
Menschen schlafen im Schlafzimmer!
Stopp: Nein, einige sind dort wach. Zählen dort Schäfchen.
Vorschlag: Wachzimmer, Schäfchenzählzimmer
Kinder kindern im Kinderzimmer
Jugendliche jugendlichen sich dahin im Jugendzimmer
Menschen baden im Badezimmer,
die, die nur duschen, trocknen sich schnell ab
Menschen wohnen im Wohnzimmer,
Rumlümmeln, Naschen und Chipsessen gehört zum Wohnen dazu
Menschen arbeiten im Arbeitszimmer,
auch dann, wenn sie aus dem Fenster schauen
Ich vermisse folgende Zimmer:
das Nasenbohrzimmer
das Traurigseinzimmer
das Fragezimmer
das Ich-bin-ich-Zimmer!
Wenn du mir vorliest,
spüre ich, dass du mich magst.
Das spüre ich fast immer. Wenn ich es nicht spüre, mache ich die Augen ganz fest zu, so lange, bis ich es wieder fühle.
höre ich deine Stimme so, wie ich sie am liebsten mag.
Deine Stimme ist die schönste Stimme, die ich kenne. Wenn du zu viel schimpfst, schließe ich die Ohren; wenn es dann wieder ruhig da draußen ist, höre ich wieder zu.
sehe ich dein Lächeln.
Dein Lächeln ist wie der Himmel. Manchmal gibt es kleine Wolken und manchmal ist dein Gesicht voller Wolken. Dann gibt es noch Blitze in deinem Gesicht, besonders in deinen Augen. Und dann den Regenbogen, den sehe ich immer gerne, besonders dann, wenn wir gerade mal wieder Ärger hatten miteinander
rieche ich das Abenteuer der Geschichten.
Abenteuer riechen wie ein Fluss, wie ein alter Baum und wie Kartoffeln im Lagerfeuer. Wie Putzmittel riechen sie nie.
Vorlesen ist Liebe. Täglich zehn Minuten Zeit, für sich, für eine Geschichte, für das Kind, die Kinder, die Kleinen und die Großen, die gerne zuhören, weil sie dann so ruhig werden und wieder sehr viel spüren, hören, sehen und riechen. Die Liebe blättert die Seiten um.
Christina Repolust
Ich kenn ihn von allen Seiten
Es ist immer eine Freude, die Vertrautheit mit geliebten Menschen im Diskonter zu zelebrieren.
Seit dem 3. März 1989 kenne ich meinen Mann, 1998 im August haben wir geheiratet. Seit März 2020 forme ich seine Frisur, das kann ich mittlerweile so perfekt, dass ich erwäge, die Lehrabschlussprüfung in diesem Metier zu machen. Obwohl, die Gebiete Färben, Stylen und Aufsteckfrisuren gibt der Kopf meines Mannes einfach nicht her. Wir sind übrigens auch das perfekte Einkaufsteam im Diskonter: Er lenkt das Wagerl zu den absolut benötigten Dingen – Milch, Butter, Joghurt - , während ich Lebensmittel wie Ingwer, Chiasamen oder Staudensellerie suche und richtig Basislager schleppe. So, da steht er auch schon bei den Milchprodukten! Exakt geschnittene Haare, ein perfekt ausrausierter Nacken, eine Freude, dieser Kopf, natürlich auch dieser Mann! Zufrieden lade die paar Dinge in unser Wagerl und schaffe dabei ein wenig Ordnung. „Was soll das?“, höre ich es neben mir brummen. „Wie, was soll das? Das ist Gesundes, das tut uns beiden gut!“, so meine etwas irritierte Antwort. Das Brummen wird heftiger, ich blicke auf und schaue in ein Gesicht, das nicht meinem Mann gehört. Fremder Mann bedeutet auch: fremdes Wagerl! „Wiedersehen! Tschuldigung! Schöne Frisur!“ Aber sonst erkenne ich meinen Mann wirklich immer!
Trotzdem
Schlechten Gewohnheiten trotzen
Vor vierzig Tagen lockten Schokolade,
verführten Nachrichten am Handy,
lauerten alte Fernsehgewohnheiten im Wohnzimmer:
Dieses Zuviel würde man in den Griff kriegen,
dazu gab man sich 40 Tage Zeit
Buntheit und Hoffnung erwarten
Etappensiege erreichte man Tag für Tag:
mehr Zeit für die Familie, weil weniger Fernsehen,
mehr Gesundheit, weil weniger Schokolade,
mehr Gespräche, weil weniger Handykommunikation.
Ein gutes Gefühl, sich und sein Leben im Griff zu haben.
Tod und Auferstehung erleben
Wir haben Krankheit und Tod nicht oder nur selten verdrängt,
wir haben uns letzte Momente vorgestellt und in Gedanken Abschiedsworte an die Liebsten formuliert,
wir haben gehofft, Eltern und Großeltern noch lange um uns zu haben,
und sie, wenn sie denn doch gehen mussten, im Sterben begleiten zu können.
Gute Gewohnheiten begrüßen
Wir kramen in Schachteln nach Kinderfotos und erinnern uns an früher,
wir winken Freunden via Skype zu,
wir lesen einander Gedichte vor,
spielen für die Nachbarn am Fenster ein Lied.
Suchen Ablenkung, wenn wir uns in dieser Enge auf die Nerven gehen.
Essen ein Stück Schokolade.
Ein Marienkäfer krabbelt auf der Fensterbank.
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